Von rt.com
Das Interview im neuen Spiegel könnte für neue Spannungen mit der türkischen Regierung sorgen. Denn für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist die Gülen-Bewegung nichts anderes, als eine terroristische Vereinigung.
Er macht sie für den Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 verantwortlich. Mehr als 40.000 Menschen wurden unmittelbar nach dem Putschversuch verhaftet. Der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım sprach damals von einer “Säuberungsaktion” gegen die Gülen-Bewegung.
Der Bundesnachrichtendienst kommt anscheinend zu einer anderen Einschätzung. Der Chef des BND, Bruno Kahl, widerspricht in dem Interview den Darstellungen der türkischen Regierung:
“Der Putsch war wohl nur eine willkommener Vorwand,”
so Kahl gegenüber dem Spiegel. Er geht davon aus, dass es auch ohne den Putschversuch zu Aktionen gegen die Bewegung gekommen wäre:
“Was wir als Folge des Putsches gesehen haben, hätte sich – vielleicht nicht in der gleichen Tiefe und Radikalität – auch so ereignet.”
Für Kahl ist es keineswegs klar, dass die Gülen-Bewegung hinter dem Putschversuch steckt. Auch wenn die türkische Regierung offenbar Anstrengungen unternommen hat, die Deutschen zu überzeugen:
“Die Türkei hat auf den verschiedensten Ebenen versucht, uns davon zu überzeugen. Das ist ihr aber bislang nicht gelungen,”
sagte Kahl. Für den 55-jährigen ist die Gülen-Bewegung keine islamistisch-extremistische oder gar terroristische Bewegung:
“Die Gülen-Bewegung ist eine zivile Vereinigung zur religiösen und säkularen Weiterbildung.”
Kahl wirft Erdoğan vor, unter einem Vorwand mehr als hunderttausend Beamte entlassen und mehrere Tausend Menschen inhaftiert zu haben. Die Vorwürfe könnten für weitere diplomatische Verwicklungen mit Ankara sorgen.
In dem Gespräch mit dem Spiegel warnte Kahl zudem auch vor einer zunehmenden Bedrohung Deutschlands und Europas durch Russland.
“Die russische Bedrohung hat sich verschärft”,
so der BND-Chef. Er fügte an:
“Russland hat die Kampfkraft an der Westgrenze verdoppelt. Das kann man nicht alles als Defensive gegen den Westen beurteilen.”
Kahl warnt auch vor einer Beeinflussung der Bundestagswahlen durch Russland:
“Wir müssen zumindest damit rechnen, dass es passieren kann,”
so der BND-Chef. Das ist insoweit eine überraschende Aussage, da die Deutschen Geheimdienste noch im Februar zugeben mussten, dass sie keinerlei Belege für derartige russische Aktivitäten gefunden haben.
Nach einer fast einjährigen Untersuchung kamen der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) zu dem Ergebnis, dass es keine Beweise für eine gezielte russische Desinformationskampagne gibt.