Indiens Säureanschlagsopfer zeigen der Welt, wie sie ihr Leben mit Würde bewältigen, indem sie ein Café betreiben

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Die Mehrheit der Säureangriffe in Indien, von denen hauptsächlich Frauen betroffen sind, gehen zurück auf Rache, Neid im Beruf, wegen Land, Eigentum und Geschäftsstreitigkeiten. Laut Daten des Ministeriums für Innere Angelegenheiten wurden 2011, 2012 und 2013 aus dem ganzen Land 83, 85 bzw. 66 Säureanschläge berichtet. Jedoch wurden 2014 ganze 309 Säureattentate gemeldet — ein 300%iger Anstieg innerhalb von drei Jahren, und das trotz einer Verfügung des Obersten Gerichts von 2013, welche die Zentralregierung und die Regierungen der Bundesstaaten dazu auffordert, den freien Verkauf von Säure zu regulieren.

Ein Land, das dabei versagt, sich für die Rechte und die Sicherheit der Frauen einzusetzen, kümmert sich viel weniger um seine Säureanschlagsopfer, die zu 85% Frauen sind. Die Opfer müssen ein Leben lang unter entstellten Gesichtern, unvorstellbaren Schmerzen, Traumata, sozialer Isolation sowie Einkommens- und Chancenungleichheiten leiden. Indem sie sich nirgendwo hinwenden können, es ihnen an Selbstbewusstsein mangelt und sie keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft haben, sind viele dazu verdammt, mit ihren Narben ein Leben in Vergessenheit zu führen.

Aber mit der Hilfe zweier Nichtregierungsorganisationen — Stop Acid Attacks (SAA) und der Chhanv Foundation, holen sich fünf mutige Frauen, die alle durch Säureanschläge verkrüppelt wurden, sowohl ihr Leben als auch ihr Selbstvertrauen zurück, indem sie mutig und erfolgreich das mittlerweile berühmte Café Sheroes’ Hangout in der Nähe des Taj Mahal betreiben.

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Der Beginn

Es begann alles mit Laxmi, einer Frau, die sich allen Widrigkeiten zum Trotz weigerte, aufzugeben. Als sie erst 15 war, wurde sie 2005 auf einem belebten Marktplatz von drei Männern mit Säure angegriffen. Sie hatte es abgelehnt, einen von ihnen zu heiraten, der mehr als doppelt so alt war wie sie.

Indem sie es nicht zuließ, dass sie durch den Angriff auch ihre Würde verlor, reichte sie 2006 am Obersten Gericht eine Klage in öffentlichem Interesse ein. Dadurch versuchte sie, die existierenden Strafgesetze zu verbessern, die sich mit dem abscheulichen Vergehen befassen; ein absolutes Verkaufsverbot der Säure zu erreichen, um chemische Angriffe zu verhindern; und die Formulierung einer Richtline zur Behandlung, Entschädigung, Fürsorge und Rehabilitation von Säureanschlagsopfern durchzusetzen.

Ihre Bemühungen zahlten sich 2013 aus, als das Indische Strafgesetzbuch novelliert wurde, um Säureangriffe als ein besonders schweres Vergehen einzustufen. Der freie Verkauf von Säure wurde überall im Land verboten und die Entschädigung für die Überlebenden wurde auf 300.000 Indische Rupees erhöht.

Für ihren unermüdlichen Kampf wurde Laxmi 2014 von der US-Präsidentengattin Michelle Obama mit dem International Women of Courage-Preis ausgezeichnet. Jedoch gab sie sich damit noch nicht zufrieden.

Um die Säureanschlagsopfer zu rehabilitieren, wurde Laxmi zusammen mit Alok Dixit — einem Journalisten, der sich zu einem gesellschaftlichen Aktivisten wandelte und die Stop Acid Attacks-Kampagne leitete, die sich für die Beseitigung von durch Säure verursachter Gewalt und den Schutz der Rechte von Überlebenden einsetzt — Mitbegründerin der Chhanv Foundation. Obwohl der Anblick von Säureanschlagsopfern viele Leute erschrecken kann, verliebte sich Alok in Laxmi — das Paar bekam im März 2015 eine Tochter.

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Die Gegenwart

Mit Hilfe von Säureanschlagsopfern und Unterstützern des SAA-Netzwerks, haben Laxmi und Alok im Dezember 2014 das Café Sheroes’ Hangout mit einer ursprünglichen Investitionssumme von ungefähr 300.000 Indischen Rupees aufgebaut, wovon ein Großteil durch eine Crowdfunding-Kampagne im Internet aufgebracht wurde, die der Säureanschlagsüberlebenden Nitu gewidmet war. Die Beiträge in beliebiger Höhe werden in Indien zur Rehabilitation der Überlebenden von durch Säure verursachter Gewalt eingesetzt.

Mit dem Schmerz eines verätzten Gesichtes und einer vernarbten Seele zurechtzukommen ist gelinde gesagt schwierig, aber das von fünf Frauen — Rupa  (22), Ritu Saini (19), Chanchal Kumari (20), Gita Mahor (42), and Neetu Mahor (26) —  betriebene bahnbrechende Café ist ein Zeichen der Hoffnung für hunderte von Frauen, die durch absichtliche Angriffe mit Säure übergossen wurden. Sheroes’ Hangout ermöglicht ihnen nicht nur einen neuen Start, es motiviert viele andere, sich aus ihrem Versteck zu wagen, sich der Opferrolle zu widersetzen und Widerstandsfähigkeit aufzubauen, um ein normales, respektables Leben zu führen und arbeiten zu gehen.

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TakePart erklärt den Effekt, den Sheroes’ Hangout auf die Überlebenden von Säureangriffen hat:

Gita und ihre Tochter Neetu wurden vor 23 Jahren von Gitas Ehemann mit Säure angegriffen, was bei beiden entstellte Gesichter und eingeschränktes Sehen hinterließ. Heute zieht sich das Duo jeden Morgen an und geht in das Café, um Kaffee und Leckereien zu servieren — als auch ihre Geschichte mit den Kunden zu teilen. Mit Hilfe von SAA nahm Gita an einem Backkurs in einem Hotel in Agra teil und serviert Kunden Kekse und Törtchen, während Neetu Gesangsstunden bei einem SAA-Freiwilligen nahm und den Leuten mit ihrer melodischen Stimme ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubert.

Ritu, die für Indien Volleyball spielte, bevor sie 2012 wegen einer Streitigkeit über Familienbesitz einen Säureangriff durch einen Cousin erlitt, kümmert sich beim Café um die Rechnungen. “Mein Leben hat sich geändert, seit ich bei SAA bin. Mit der emotionalen Unterstützung, die ich erfuhr, erlange ich das Vertrauen zurück, nach draußen zu gehen, ohne mein Gesicht zu bedecken. Nun interessiert es mich nicht mehr, was die Leute über mein entstelltes Gesicht denken.”

Rupa, deren Stiefmutter sie mit Säure attackierte als sie erst 12 war, ist eine begabte Schneiderin und Kleidungsdesignerin. Die von ihr gestalteten Outfits werden im Café ausgestellt und verkauft. Sheroes’ Hangout gibt uns nicht nur eine Chance, in unserem Leben voranzukommen; es macht auch unsere Geschichten bekannt.”

Chanchal, die 2012 von einem Mann mit Säure angegriffen wurde, dessen Heiratsantrag sie abgelehnt hatte, hilft dabei, das Café zu betreiben. “Unsere Besucher sind größtenteils Leute aus der ganzen Welt, die von uns in den Nachrichten erfahren. Sie kommen hierhin, um zu sehen, wie Säureanschlagsopfer wie wir mit unserem Leben zurechtkommen.”

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Sheroes’ Hangout hilft Säureanschlagsopfern, ihr Selbstvertrauen wiederzuerlangen. Es gibt den Besuchern auch die Möglichkeit, über den langen traumatischen Kampf für Gerechtigkeit zu erfahren, direkt von den Frauen zu hören, die dafür arbeiten, andere Frauen und Mädchen zu unterstützen, und das oft ignorierte Thema von Gewalt durch Säure einer breiteren Öffentlichkeit bekant zu machen. Shikha Singh, eine 20-jährige Modedesign-Studentin, die mindestens einmal die Woche ins Café geht, sagt:

Stimmt. Ich hätte nie etwas von der Realität hinter den Säureanschlagsopfern erfahren, wenn ich diese Frauen nicht getroffen hätte. Es ist erstaunlich, wie sie daran arbeiten, trotz ihrer Hindernisse ihre Träume zu verwirklichen. Ich ziehe es nun vor, meine Zeit eher in Sheroes’ Hangout zu verbringen anstatt in einem McDonald’s oder KFC. Mindestens bin ich sicher, dass das Geld für einen guten Zweck verwendet wird.

Das Café zog in den ersten sechs Monaten 5.000 Kunden an, eine Tatsache, die eine sich verändernde Haltung in Indien gegenüber Säureanschlägen und ihren Überlebenden widerspiegelt. Alisha Nangia, eine Touristin aus Dehli sagt: “Die Musik und die Einrichtung an diesem Ort sind erstaunlich. Ich bin zufällig hier gelandet, aber ich bin so froh, hierher gekommen zu sein. Dies sind liebenswerte, tapfere Frauen.”

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Übersetzt aus dem Englischen von AnonHQ.com

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