Letzte Runde im Syrien-Krieg: Nach der Zerstörung kommt die wirtschaftliche Erpressung

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Von rt.com

Die USA und die EU wollen ohne einen “politischen Übergang” den Wiederaufbau in Syrien nicht unterstützen. Unterdessen beginnen Russland und China damit, die Zeit nach dem Krieg vorzubereiten. Laut Weltbank zerstörte der Krieg die Hälfte der lokalen Infrastrukturen.

 

von Malte Daniljuk

Bereits Ende vergangenen Jahres hoffte der Stellvertretende Sekretär der UN-Wirtschaftskommission, Abdullah Al Dardari, dass noch im Jahr 2017 mit dem Wiederaufbau begonnen werden könne. Er bezifferte die Kosten auf bis zu 340 Milliarden Dollar. Diese Summe könne unmöglich von Syrien allein aufgebracht werden, so Al Dardari. Die Schäden überschreiten ein Niveau, das einige Länder alleine bewältigen könnten. Eine wichtige Bedingung für einen Wiederaufbau sei allerdings eine „breite Legitimität“ und eine Aussöhnung zwischen den Parteien im Land selbst.

Nötig sei eine „inklusive politische Lösung“, schon alleine um den Flüchtlingen das Vertrauen zu geben, in das Land zurückzukehren, so der syrische Politiker. Zwar sei der Wiederaufbau vor allem eine nationale Aufgabe, diese müsse jedoch von internationalen Institutionen wie der UNO begleitet werden. Jedoch nur ein nationaler Kompromiss könne verhindern, dass der Wiederaufbau zum Spielball fremder Interessen wird, dass der Stellvertreterkrieg mit wirtschaftlichen Mitteln weitergeführt wird.

Damit traf der UN-Vertreter bereits einen zentralen Punkt: Seitdem sich abzeichnet, dass die großen Kampfhandlungen abflauen, entwickelt sich der Wiederaufbau auch zum Thema in den internationalen Gremien, die den Konflikt teilweise jahrelang befeuert haben. In der aktuellen Ausgabe von Foreign Affairs, der Zeitschrift des einflussreichen Council on Foreign Relations, appelliert Sam Heller an den Westen, den Wiederaufbau unter den aktuellen Bedingungen nicht zu unterstützen.

Nachdem es der Regierung gelungen ist, den größten Teil des Landes zurückzuerobern und die USA ihren Stellvertreterkrieg offiziell aufgegeben haben, ohne allerdings ihr Ziel zu erreichen, werde der Wiederaufbau der nächste Kampf, um die politische Ordnung Syriens zu formen, argumentiert Heller, der in Beirut für amerikanische Institutionen arbeitet.

Für die syrische Opposition sind die Wiederaufbaufonds eines ihrer letzten verbliebenen Instrumente, um Druck auf das Assad-Regime auszuüben.“

Anstatt sich auf „verworrene Pläne“ internationaler Institutionen einzulassen, empfiehlt der Analyst der amerikanischen Century Foundation, die weniger komplizierte Lösung laute: Finanzieren Sie nicht den Wiederaufbau von Assad’s Syrien. Immerhin habe der syrische Präsident bereits klargestellt, dass er nicht zulassen würde, dass „Feinde, Gegner und Terroristen“ mithilfe politischer Mittel das vollenden, was sie „auf dem Schlachtfeld und durch Terrorismus“ nicht erreichen konnten.

Bereits Ende September trafen sich die „Freunde Syriens“, eine internationale Koordinierung der syrischen Aufständischen, welche noch von US-Außenministerin Hillary Clinton ins Leben gerufen worden war. Auf dem Treffen, an dem auch Saudi-Arabien, die USA und Vertreter der EU teilnahmen, forderten die üblichen Verdächtigen erneut einen „echten politischen Übergang“. Dies wird allgemein als Code für den Sturz der Baath-Regierung angesehen. Für den amerikanischen Nahost-Diplomaten David Satterfield stellt die Finanzierung des Wiederaufbaus den „größten Hebel“ dar, um einen „glaubwürdigen politischen Prozess“ voranzutreiben. Der britische Außenminister Boris Johnson erklärte auf dem Treffen:

Wir haben nur noch eine große Karte, um mit einem ziemlich schwachen Blatt zu spielen, und das ist das Geld, das wir für den Wiederaufbau Syriens aufbringen können.“

Sam Heller mahnt den Westen, der Gedanke, dass westliches Geld Assad dazu bringen könne, abzudanken, sei „offensichtlich Fantasie“. Für westliche Geber sei der Wiederaufbau Syriens „ein Verliererspiel“.

Der Weg zum Sieg ist, nicht zu spielen.“

Der Experte des Council on Foreign Relations empfiehlt dem Westen, auf den Faktor Zeit zu setzen. Je später der Wiederaufbau beginnt, desto höher sind die Kosten. Insbesondere sollten westliche Geber nicht „in eine politische Ordnung in Syrien“ investieren, die weder wünschenswert noch stabil sei. Solange sich der politische Kontext nicht ändert, solle man sich nicht am Wiederaufbau und an Ausgaben für die Infrastruktur beteiligen.

Assads Unvermögen, an großzügige Gelder für den Wiederaufbau ohne Bedingungen zu gelangen, wird sein Preis für den Sieg sein.“

Dies gilt vor allem für große strategische Investitionen. Allerdings appelliert Sam Heller an die westlichen Staaten, ihre Verbündeten in Syrien weiter zu unterstützen. So könnten Geber die Sanktionen für „bestimmte Sektoren der syrischen Wirtschaft“ aufheben, aber nur wenn ein attraktiver Handel angeboten wird. Der Westen könne lokale Stabilisierungs- und Versöhnungsprojekte unterstützen, die eine begrenzte Wirkungen haben. Außerdem müsse man investieren, um die syrischen Flüchtlinge vor Ort zu unterstützen und unterzubringen, sei es in Europa oder in den Nachbarländern Syriens.

Brain Drain: Auch die Köpfe und Hände für den Aufbau sollen draußen bleiben

Insbesondere dieser letzte Schwerpunkt könnte für den Wiederaufbau des Landes ein außerordentliches Problem bergen. Im aktuellen Forschungsbericht der Weltbank zu den Folgen des Krieges heißt es zusammenfassend, Syrien müsse eine Vielzahl dringender wirtschaftlicher und sozialer Herausforderungen überwinden, um Frieden und Stabilisierung zu fördern. Vor allem fehle es jedoch an Menschen mit ausreichender Qualifikation, welche in der Lage sind, diese gigantische Herausforderung zu meistern.

Der Konflikt hat die Bevölkerung in weiten Teilen in Armut gestürzt und mehrere Millionen Menschen auf Existenzgrundlagen ausgerichtet, die in einer Nachkriegswirtschaft nicht nachhaltig sein werden. Eine ganze Generation von Kindern hat eine unzulängliche Ausbildung erhalten. Dies, gepaart mit einem signifikanten Brain-Drain, hat zu einem dramatischen Rückgang des Humankapitals in Syrien geführt.“

Die „immense Bandbreite“ der Notwendigkeiten, die sich aus dem Konflikt ergeben, erfordert eine „schlagkräftige Reaktion“, so die Wissenschaftler der Weltbank. Der Vorschlag aus dem Council on Foreign Relations zielt genau auf das Gegenteil ab: Der Westen soll alle Ressourcen blockieren, seien es finanzielle Mittel oder „Humankapital“. Gerade dieser letzte Punkt stellt das humanistische Lager in Europa vor eine interessante Herausforderung.

Mehr lesen: Exklusiv-Interview mit Syriens Außenminister: “Letzte Kapitel in der Geschichte unserer Krise”

Zwar hat Bundeskanzlerin Angela Merkel es gerade zum Schwerpunkt des deutschen G20-Vorsitzes gemacht, auch die eigentlichen Ursachen von Flucht zu bekämpfen. Um Syrien ging es in den öffentlichen Debatten allerdings nicht. Ausgerechnet die langfristige Integration und das Bleiberecht, die von Teilen der CDU bis hin zur Linken vertreten werden, erweisen sich nun, nach dem Abklingen der Kampfhandlungen in Syrien und dem Irak, als politisch zweischneidige Angelegenheit.

Aus einer entwicklungspolitischen Perspektive wäre es dringend erforderlich, dass möglichst viele der überdurchschnittlich gut qualifizierten Flüchtlinge eine Möglichkeit erhalten, in die zerstörten Gebiete zurückzukehren, um dort den Wiederaufbau zu unterstützen. Andererseits haben sich in den Nachbarländern von Syrien, aber auch in Europa, inzwischen große Infrastrukturen mit erheblichen finanziellen Mitteln entwickelt, um das durch die Kriege verursachte Elend zu verwalten.

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Der aktuelle Weltbank-Bericht beschäftigt sich auf mehr als 14 Seiten ausschließlich mit diesen Menschen, welche Volkswirte und Entwicklungspolitiker als „Humankapital“ bezeichnen. Insgesamt habe der Konflikt zu „erheblichen Verlusten am syrischen Humankapital“ geführt und dem syrischen Volk unüberwindbare Schmerzen und Leiden auferlegt. Die Weltbank geht davon aus, dass die Todesopfer, die Vertreibungen und das zerstörte Bildungssystem zu einem dauerhaften Verlust des „Humankapitalbestands“ von 30 Prozent geführt haben.

Ein typisches Land mit niedrigem bis mittlerem Einkommen wie Syrien bezieht nach den Daten der Weltbank etwa 18 Prozent seines Reichtums aus Naturkapital, 25 Prozent aus produziertem Kapital und 57 Prozent aus Humankapital. Also ist Humankapital die größte Wohlstandsquelle in allen Regionen und Ländern, mit Ausnahme der großen Erdölexporteure. Erhebliche Verluste beim Humankapital sind auch signifikante Verluste am Gesamtvermögen.“

Mit anderen Worten: Mindestens genauso wichtig wie finanzielle Ressourcen sind die Menschen, die das Land wieder aufbauen und ein neues Syrien gestalten. Daher nennt die Weltbank „demografische Mobilität“ als eine wichtige Bedingung. Neben den Flüchtlinge, die vor allem in der Türkei, in Jordanien, dem Libanon und Europa leben, betrifft dies auch „interne Vertriebenen“.

Der Konflikt drängte Menschen und Wirtschaftstätigkeiten aus Konfliktzonen in relativ stabile und sichere Gebiete. Mit Millionen von Binnenflüchtlingen, die aus Gebieten mit hoher Konfliktintensität wie Deir Ezzor und Dara’ a in Gebiete mit geringer Konfliktintensität wie Tartous und Lattakia abwanderten, wuchsen in erstgenannten der Arbeitskräftemangel und in letztgenannten die Arbeitskräfteüberschüsse.“

Insgesamt bewertet das UN-Flüchtlingswerk die Folgen des Krieges in Syrien als die weltweit größte Vertreibungskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung wurde gewaltsam vertrieben. Nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen sind derzeit im Libanon, in der Türkei, in Jordanien, im Irak, in Ägypten und Nordafrika insgesamt 4,9 Millionen Syrer als Flüchtlinge außerhalb des Landes offiziell registriert. Außerdem haben mehr als 800.000 syrische Staatsangehörige in Europa Asyl beantragt.

Die selbe Anzahl an Menschen, also 5,7 Millionen Syrer, leben als Vertriebene noch einmal innerhalb des Landes als „intern Vertriebene“, wobei 56 Prozent davon in ihren eigenen Verwaltungsbezirken blieben. Trotzdem konnten bisher nur 560.000 Menschen zurückkehren. Zumeist handelt es sich um Menschen, deren Häuser nicht zerstört wurden. Diese geringe Zahl lässt sich auch darauf zurückführen, dass viele Infrastrukturen noch nicht wieder aufgebaut sind. Um also mehr Menschen zur Rückkehr zu bewegen, müssen die Behörden zunächst die Sicherheit, einen Lebensunterhalt und grundlegende Dienstleistungen garantieren können.

Der Preis des Krieges: Die Hälfte der lokalen Infrastrukturen zerstört

Zwar haben sich durch die russische Militärhilfe und die Arbeit der „Zentren für Versöhnung“ inzwischen die Kämpfe an den großen Kriegsschauplätzen gelegt. Aber große Teile des Landes, vor allem die großen und mittleren Städte, sind weitgehend zerstört. In vielen Städten brachen die öffentlichen Infrastrukturen zusammen. Häuser, Straßen, Schulen und Krankenhäuser sind kaputt, das wirtschaftliche Leben kam zum Erliegen. Die Kämpfer der aus dem Ausland unterstützten Milizen zerstörten zudem gezielt Brücken, Wasserquellen und andere wirtschaftlich bedeutsame Güter.

Bereits vor dem Krieg lebte mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Städten. Inzwischen ist laut Weltbank jedes vierte Haus in den wichtigsten Städten zerstört oder beschädigt. In Städten, die wie Deir ez-Zor, Idlib oder Aleppo besonders lange umkämpft waren, fällt die Bilanz am schlimmsten aus. Insgesamt schätzt die Weltbank, dass mehr als 220.000 Wohneinheiten komplett zerstört und weitere 650.000 teilweise beschädigt sind. Schon alleine die Beseitigung der Trümmer stellt eine gigantische Herausforderung dar.

Auch das wichtigste Gut für den Menschen, das Wasser, bereitet enorme Probleme. Immer wieder versuchten die Milizen, bestimmte Regionen von der Wasserversorgung abzuschneiden. Die Weltbank untersuchte die landesweit 457 Wasserversorgungsanlagen. Insgesamt sind zwei Drittel der Aufbereitungsanlagen, die Hälfte der Pumpwerke, ein Drittel der Wassertürme, ein Viertel der Kläranlagen und ein Sechstel der Brunnen in ganz Syrien zerstört oder teilweise beschädigt. In einigen wenigen Beispielen, wo der Wiederaufbau bereits begonnen wurde, etwa im kurdischen Kobani, funktionieren inzwischen wieder fast alle Wasseranlagen, so die Experten.

Ähnlich katastrophal sieht es bei der Stromversorgung aus: Obwohl die Leitungen weitgehend funktionsfähig geblieben sind, ist die Servicequalität in den meisten Teilen des Landes sehr schlecht. Einige Gebiete sind seit Jahren von der öffentlichen Versorgung abgeschnitten. Zwei große Anlagen, das Kraftwerk Zeyzoun in Idlib und das Wärmekraftwerk Aleppo, wurden völlig zerstört, ebenso wie das Elektrizitätswerk in Deir ez-Zor. Immerhin die drei Staudämme und zumindest fünf von landesweit dreizehn Großkraftwerken arbeiten noch.

Mit Blick auf Krankenhäuser und Hospitäler spricht die Weltbank hingegen von einen „ernsten Zustand“. In den allermeisten Städten waren mehr als die Hälfte aller Gesundheitseinrichtungen vom Konflikt betroffen. Sechs von zehn Gesundheitseinrichtungen, darunter Krankenhäuser und Polikliniken, waren im Februar 2017 mit irgendeiner Form von Schäden konfrontiert. Insgesamt wurden 16 Prozent aller Gesundheitseinrichtungen vollständig zerstört und 42 Prozent teilweise beschädigt. Das bedeutet, dass die Syrer nur noch einen „stark eingeschränkten“ Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen haben.

Dass die verschiedenen Kriegsparteien öffentliche Einrichtungen häufig als Quartiere nutzen, hatte auch schlimme Auswirkungen auf das Bildungssystem: Nur noch 60 Prozent aller Bildungseinrichtungen in Syrien sind in Betrieb. In Städten wie Idlib, Deir ez-Zor und Aleppo zerstörten die Kämpfe etwa zwei Drittel aller Grundschulen. Die noch funktionierenden Schulen kämpfen mit dem Zugang zu Elektrizität, Wasser und sanitären Einrichtungen. In einigen Fällen werden Schulen übermäßig genutzt, etwa in Idlib, wo die Zahl der Schüler die Aufnahmekapazität weit übersteigt. In anderen Landesteilen sind die Schulen aufgrund von Vertreibung und Abwanderung der Bevölkerung stark unterausgelastet.

„Wir müssen nach Osten schauen“: Wege zum Wiederaufbau

Folgt man dem Report der Weltbank, bietet die aktuelle Situation in Syrien in zweierlei Hinsicht gute Vorraussetzungen, um das Land wieder aufzubauen. Die landesweiten Infrastrukturnetze, Straßen und Stromleitungen sind weitestgehend intakt. Außerdem verfügt das Land über eine überdurchschnittlich gut ausgebildete Bevölkerung. Allerdings bleibt die Frage, woher die finanziellen Mittel kommen sollen, um eine derartige Mammutaufgabe nach fünf Jahren Krieg zu bewältigen.

Die USA, die Golfstaaten sowie Frankreich und Großbritannien haben jeweils mehrere Milliarden Dollar ausgeben, um die syrischen Aufständischen sowie ausländische Söldner zu finanzieren. Ab Januar 2012 schafften die alliierten Geheimdienste Hunderttausende Tonnen Waffen und Munition nach Syrien. In der Türkei und Jordanien unterhielten die westlichen Verbündeten jahrelang Ausbildungslager. Diese Investitionen hatten das ausdrückliche Ziel, die Regierung in Damaskus zu stürzen.

Nun, da sich abzeichnet, dass die Regierung mithilfe der Unterstützung aus Russland und dem Iran weiterhin im Amt bleibt, können die betreffenden Staaten den Wiederaufbau blockieren, indem sie die Mittel in internationalen Gremien blockieren und die syrischen Flüchtlinge hindern zurückzukehren.

Bei seiner Rede im August erklärte Präsident Bashar al-Assad, man werde „politisch, wirtschaftlich und kulturell nach Osten schauen“ und lobte, wie die „östlichen Länder“ mit dem Konflikt umgegangen sind. Gleichzeitig versuchte er, den Einfluss seiner Gegner in internationalen Gremien zu relativieren. Der Westen leide unter Größenwahn, meinte Assad. Der Begriff „internationale Gemeinschaft“ sei keineswegs gleichbedeutend mit den Interessen des Westens.

Natürlich ist auch in Damaskus jedem klar, dass die Anti-Assad-Koalition mit ihrem Projekt des Regimewechsels gescheitert ist. Als gesetzt kann ebenso gelten, dass zahlreiche EU-Staaten, insbesondere Deutschland, Italien und Griechenland, ein Interesse daran haben, dass die Flüchtlingskrise endet und es eine realistische Option gibt, in das Land zurückzukehren. Andererseits besteht sehr wohl ein gewisser Zeitdruck, auch für die EU-Staaten, da mit dem Ende der Kampfhandlungen die Mobilität wieder zunimmt, die Lebensbedingungen unter der Kriegswirtschaft aber katastrophal sind.

Zwar hat die Europäische Union bereits im April Mittel in Höhe von sechs Milliarden Dollar für Hilfen an Syrien reserviert. Allerdings beharrt Federica Mogherini darauf, dass das Geld erst freigegeben wird, wenn mithilfe der weithin als gescheitert angesehenen UN-Verhandlungen in Genf ein „glaubwürdiger politischer Übergang“ vereinbart wurde. Diese Formulierung ist gleichbedeutend mit einem Regime-Change. Inzwischen verschob Mogherini eine entsprechende Entscheidung bereits auf das kommende Jahr 2018.

Am Rande der letzten UNO-Generalversammlung kritisierte Russlands stellvertretender Außenminister, dass die EU die zugesagte Hilfe als politisches Instrument nutzt, um Druck auf die syrische Regierung auszuüben. Eine „Politisierung der Entwicklungshilfe“ und dass die EU-Vertreter erklären, dass sie „das Ende des politischen Prozesses abwarten“ wollen, sei inakzeptabel, so Grennadi Gatilow.

Russland hat mit den Friedensgesprächen in Astana nicht nur den politischen Durchbruch zu einem Frieden in Syrien geschaffen. Das Land liefert seit Monaten Hunderttausende Tonnen an Hilfsgütern in die syrischen Gemeinden, die lokale Friedensvereinbarungen unterzeichnen. Inzwischen haben beide Länder Kooperation im Umfang von etwa einer Milliarde Dollar unterzeichnet. Mehrere russische Energieunternehmen erhielten Lizenzen, um den Öl- und Gassektor wieder aufzubauen. Im September schickte Russland über 4.000 Tonnen an Rohren, Kabeln und Baumaschinen für den Wiederaufbau.

China führte im August eine eigene „Messe für syrische Wiederaufbauprojekte“ durch. Danach kündigte eine chinesisch-arabische Investorengruppe an, dass sie zwei Milliarden Dollar in den Bau von Industrieparks in Syrien steckt. Die Volksrepublik dürfte der einzige unabhängige Akteur sein, der schnell größere finanzielle Ressourcen freimachen kann. Bereits bevor die innenpolitische Situation im Jahr 2011 eskalierte, war das Reich der Mitte der größte ausländische Direktinvestor in Syrien. Allerdings will die Volksrepublik eine sichere politische Lösung und stabile Verhältnisse abwarten.

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