Schwere Vorwürfe wegen Missbrauchs von obdachlosen Jugendlichen belasten die Jugendverwaltung des Berliner Senats, wie B.Z. unter Berufung auf eine Studie berichtet. Bildungssenatorin Sandra Scheeres spricht dabei von einem „Verbrechen in staatlicher Verantwortung“.
Eine am vergangenen Freitag vorgestellte Studie der Uni Göttingen hat enthüllt: In den Jahren 1969/70 hat der damalige Abteilungsleiter des Pädagogischen Zentrums Helmut Kentler den Auftrag für ein „Experiment“ erhalten.
Bei diesem Experiment ging es darum, dass mindestens drei sogenannte „Trebergänger“ zwischen 13 und 17 Jahren von der Straße ausdrücklich an pädophile Männer zur „liebevollen Erziehung“ vermittelt wurden.
„Man wollte herausfinden, wie sich diese Jugendlichen entwickeln, was aus ihnen wird in diesem Umfeld“, zitiert B.Z. eine Wissenschaftlerin. Ihr zufolge wusste die Senatsbildungsverwaltung davon. Allerdings sei unklar, ob die Erlaubnis von Mitarbeitern oder von den Senatoren selbst kam.
„Die ausgewählten Jugendlichen schickte der Senat zur Odenwaldschule. An dem Internat wurden etliche Missbrauchsfälle bekannt. Die Kirche hat zur Aufarbeitung einen runden Tisch eingerichtet“, so B.Z.
Dabei blieben viele Fragen offen, beispielsweise wie viele Betroffene es wirklich gab. Der Zugang zu den Akten der „Pflegeeltern“ im Landesarchiv sei den Forschern wegen „Schutz von Persönlichkeitsrechten“ versagt worden. Einer umfassenden Aufklärung steht allerdings Desinteresse der Politik im Wege.
Die Göttinger Wissenschaftler, die eine Verstrickung des Berliner Senats zu Pädophilie-Aktivisten untersucht haben, fanden auch heraus, dass es auch eine Verbindung zur Odenwaldschule gab. Der Senat finanzierte dort Schulplätze für Kinder der Jugendhilfe. Die Wissenschaftler fordern nun den Senat zur Nachforschung auf, ob die von ihm entsandten Jungen dort sexuell missbraucht wurden.
„Das ist kein Thema der Vergangenheit“, sagt auch Christine Bergmann, ehemalige Familienministerin und heute Mitglied in der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Die vor etwa einem Jahr gegründete Kommission beschäftigt sich mit sämtlichen Formen von sexuellem Kindesmissbrauch in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR.
Dass der Kommission jegliche Befugnisse fehlen, kritisiert Norbert Denef vom Netzwerk B., das sich für betroffene von sexualisierter Gewalt im Kindesalter einsetzt. Er sagt: „Das Vertuschen von Missbrauchsskandalen hat System und es fehlt der politische Wille, hier wirklich etwas aufzuarbeiten.“
Anmeldungen, Anhörungen, aber keine Aufarbeitung
Im Zeitraum von rund einem Jahr sind bei der Kommission rund 415 Anmeldungen für vertrauliche Anhörungen sowie 67 schriftliche Berichte eingegangen. 38 vertrauliche Anhörungen gab es bisher seit September. Hinzu kommen rund 200 Telefonate. In einem Sputnik-Interview sagte Norbert Denef: „Diese Kommission ist politisch nur dazu befugt, sich die Opfergeschichten anzuhören, Aufarbeitung findet dort nicht statt.“
Auch die neuerlichen Vorwürfe rund um die Odenwaldschule wundern Denef nicht: „Man hat den Eindruck, dass dort eine große Mauer des Schweigens ist, auch von Prominenten, die an der Odenwaldschule vertreten waren. Diese haben verhindert, dass stelle ich mal als These in den Raum, dass hier eine wirkliche Aufarbeitung stattfindet.“