“Komplette Vernichtung von Hisbollah”: In Israel beginnt größtes Militärmanöver seit 20 Jahren

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Inmitten der angespannten Lage im Nahen Osten begann am heutigen Dienstag in Israel das größte Militärmanöver seit knapp 20 Jahren. Ziel der Übung ist es, die libanesische Hisbollah nachhaltig kampfunfähig zu machen. Israel untermauert damit seine jüngsten Drohungen.

 

Die zehntägige Übung wird im Norden Israels in der Grenzregion zum Libanon abgehalten. Das nach dem ehemaligen Mossad-Chef Meir Dagan benannte Manöver soll alle Truppenteile – Infanterie, Marine und Luftstreitkräfte – einbinden.

Konkret sieht das Übungsszenario eine Infiltration terroristischer Gruppen aus dem Libanon zu Lande und zu Wasser vor. Ein Angriff auf Israels nördlichen Nachbarn soll ebenso eingeübt werden wie die Evakuierung Zehntausender Zivilisten aus der Grenzregion. Zehntausende Soldaten einschließlich Tausender Reservisten sollen an der Übung teilnehmen. Ziel des Manövers ist es laut Armeeangaben, die Hisbollah zu bezwingen und nachhaltig kampfunfähig zu machen. Die Haaretz schreibt dazu:

Trotz der beschwichtigenden Äußerungen Israels, in denen betont wird, dass es sich um nichts weiter als ein Manöver handelt (bei dem Untergaliläa als ‚Südlibanon‘ dient), ist davon auszugehen, dass die regionalen Spannungen innerhalb der kommenden zehn Tage zunehmen werden.

Abschreckende Botschaft an die Hisbollah

Laut der israelischen Zeitung wird Tel Aviv die Übung als abschreckende Botschaft zu nutzen wissen: Auch wenn sich die Fähigkeiten der Hisbollah in den letzten elf Jahren – seit dem Krieg Israels gegen den Libanon im Jahr 2006 – verbessert hätten, seien gleichzeitig die Fähigkeiten der israelischen Armee noch stärker gestiegen.

„Wenn die Hisbollah dem falschen Glauben anhängt, sie könne aufgrund ihrer Erfolge im Syrienkrieg erfolgreich gegen die israelische Armee vorgehen, dann wird sie einen hohen Preis dafür zahlen“, so die Zeitung. Laut ihr unterscheidet sich die heutige strategische Realität völlig von der Situation vor elf Jahren, als Israel seinen syrischen Nachbarn noch als ernste Bedrohung betrachtet habe:

Die syrische Armee ist nach sechseinhalb Jahren Bürgerkrieg fast vollständig erodiert. Die Hisbollah ist nun der Hauptfeind und der Libanon das Schlachtfeld, das Israel die größten Sorgen bereitet. Syrien wird gegenwärtig als nebensächlicher Schauplatz betrachtet, der vielleicht unter bestimmten Umständen Teil eines zukünftigen Krieges gegen die Hisbollah werden (etwa durch verstärkte iranische Aktivitäten an der Grenze zu Israel) oder diesen befördern könnte.

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Hisbollah ist durch Syrienkrieg stärker geworden

Die Haaretz könnte hierbei jedoch einer Fehleinschätzung unterliegen, die zum Teil auch von israelischen Militärexperten genährt wird. Letztere sprechen aktuell davon, dass die Hisbollah aufgrund ihres Engagements im Syrienkrieg ausgedünnt sei, zu hohe Verluste ertragen musste und finanziell – auch wegen der Zahlungen an die Angehörigen der getöteten Kämpfer – in der Klemme stecke.

Laut einem jüngsten Bericht der New York Times hat die schiitische Miliz in dem Konflikt in Syrien 2.000 ihrer Männer verloren. Doppelt so viele seien verwundet worden. Die tatsächliche Kampfstärke der Hisbollah ist zwar unbekannt, Analysten gehen jedoch von einem gut ausgebildeten Kern von 10 – 20.000 Kämpfern aus.

Trotz der verhältnismäßig hohen Verluste dürften diese die Kampfkraft der libanesischen Miliz nicht nachhaltig geschwächt haben. Diese erleidet in Syrien ohnehin nur noch geringe Verluste. Denn parallel zum militärischen Fortschritt der syrischen Armee hat die Hisbollah ihre Präsenz in dem Land heruntergefahren – und widmet sich wieder verstärkt der Situation im Libanon und dem Konflikt mit Israel.

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Was die Verluste in Syrien mehr als nur aufwiegen dürfte, ist die Tatsache, dass sich die Hisbollah im Laufe des Krieges von einer Guerillatruppe zu einer regelrechten Armee gewandelt hat. War sie zuvor auf defensive „Hit-and-Run“-Taktiken in Guerilla-Manier spezialisiert, wie sie in Israels Krieg gegen den Libanon im Jahr 2006 recht effektiv zum Tragen kamen, so ist sie mittelweile in der Lage, große Offensivoperationen durchzuführen. Die dafür notwendige Koordinierung großer Truppenverbände meistert sie inzwischen ebenso wie die logistischen Herausforderungen, die sich aus der Nachschubversorgung über größere Distanzen ergeben.

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Zudem ist die Hisbollah durch den Syrienkrieg in den Besitz modernerer und schwerer Waffen gelangt – trotz aller Bemühungen Israels, durch Syrien laufende Waffentransporte zu verhindern. Schoss die Hisbollah während des Libanonkrieges im Jahr 2006 täglich zwischen 100 und 200 Raketen auf israelisches Gebiet ab, rechnen Sicherheitsexperten bei einem zukünftigen Krieg mit täglich zehn Mal so viel Geschossen. Zudem verfügt die Hisbollah im Vergleich zum Krieg vor elf Jahren über präzisere Raketen mit einer größeren Reichweite.

„Solche Erfahrungen sind unbezahlbar“, äußerte sich Gabi Siboni, Direktor am Institute for National Security Studies der Universität in Tel Aviv, bereits vor drei Jahren gegenüber der New York Times zu den Auswirkungen des Syrienkrieges auf die Kampffähigkeit der Hisbollah. „Das ist ein weiterer Faktor, um den wir uns kümmern müssen. Es gibt keinen Ersatz für Erfahrungen, und diese sind nicht zu verachten“.

Seitdem hat die Miliz ihren Erfahrungsschatz noch deutlich ausbauen können. Auch was die syrische Armee betrifft, ist die Einschätzung der Haaretz fragwürdig. Sicherlich ist diese noch auf lange Zeit mit dem Konflikt im eigenen Land beschäftigt und hat kein Interesse, zusätzlich in eine militärische Auseinandersetzung mit Israel zu geraten. Auf Israels Angriffe auf die eigenen Truppen hat die syrische Armee in den vergangenen Jahren nicht mit Gegenmaßnahmen reagiert.

Stärker als zuvor: Die neue syrische Armee

Dennoch wird die Armee nach Ansicht des Nahost-Experten Elijah Magnier gestärkt aus dem Konflikt hervorgehen. Medienberichte über eine „erschöpfte“ und „auf eine kleine Anzahl reduzierte“ Armee seien ihm zufolge falsch und irreführend.

Tatsächlich gibt es heute eine ‚neue syrische Armee‘ mit einer neuen Generation von Soldaten, die der Armee während des Krieges beigetreten sind und auf dem Schlachtfeld quasi groß geworden sind – und nicht in Militärbaracken, wie es in den ersten Kriegsjahren der Fall war. Sie haben Erfahrungen in allen möglichen Arten der konventionellen Kriegsführung als auch des Guerillakampfes gesammelt, und nahmen an den schwersten und schwierigsten Schlachten teil, die der Syrienkrieg zu bieten hatte.

In den ersten Jahren sei es Al-Kaida und dem „Islamischen Staat“ noch leichtgefallen, Dutzende oder gar Hunderte Soldaten gefangen zu nehmen und sie öffentlichkeitswirksam hinzurichten. Viele Soldaten und Offiziere seien damals noch desertiert, oftmals, um ihrer Exekution zu entgehen. Nicht wenige hätten beim Aufflammen der ersten Gefechte ihre Stellungen verlassen. Die Hisbollah habe deshalb mit großen eigenen Kampfverbänden eingreifen müssen – und mit ihrer Standhaftigkeit den Soldaten der syrischen Armee als Vorbild gedient.

Heutzutage läuft die ‚neue syrische Armee‘ nicht weg, sondern kämpft, ergreift die Initiative und attackiert, anstatt ihre Positionen nur zu verteidigen. Während vieler Schlachten hat sie sich nicht zurückgezogen, auch wenn die Angreifer zahlenmäßig überlegen waren. Und sie hat gelernt, zu kämpfen wie der Feind. Die hohe Moral der neuen Armee hat die Hisbollah dazu veranlasst, nur noch einige Offiziere in jedes Bataillon zu entsenden, statt sich mit großen eigenen Kräften zu engagieren.

In den letzten Jahrzehnten sei die syrische Armee zu keiner Zeit bereits gewesen, gegen Israel zu kämpfen. Deshalb habe Damaskus im Konflikt um die von Israel besetzten Golanhöhen lediglich diplomatische Kanäle genutzt, um seine Interessen zu verfolgen. Doch nun beherrsche Syrien „die Kunst des Krieges“ und sei bereit, Israel auch militärisch die Stirn zu bieten, so die Analyse von Magnier.

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Manöver als Signal auch an Moskau

Auch wenn Damaskus auf absehbare Zeit nicht aktiv die Konfrontation mit Israel suchen wird, wird es kaum beiseite stehen und zuschauen, sollte Tel Aviv in den Südlibanon einmarschieren, um die Hisbollah zu vernichten.

Was hingegen Moskau tun wird, steht auf einem anderen Blatt. „Den israelischen Geheimdiensten fällt es schwer einzuschätzen, wie Russland im Fall eines Krieges mit der Hisbollah reagieren wird. In Syrien kämpfen Moskau und die Hisbollah auf derselben Seite und unterstützen das Assad-Regime, aber die Russen unterhalten weiter offene und freundliche Beziehungen zu Israel“, so die Haaretz.

Mit dem Großmanöver will Israel wohl nicht allein seine militärischen Fähigkeiten testen und verbessern. Tel Aviv verbindet damit auch das politische Signal, dass es sich bei seinen jüngsten – auch gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin formulierten – Drohungen anlässlich der iranischen Präsenz in Syrien und im Libanon nicht um leere Worte handelt.

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