Mit 1.000 Euro kann man zu allem Nein sagen

in Wirtschaft
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Ein Gastbeitrag von Michael Bohmeyer auf Zeit Online

Bisher haben 124 Menschen durch unseren Verein ein jährliches Grundeinkommen erhalten. Was lernen wir aus ihren Erfahrungen?

Wir haben in den vergangenen Jahren den rasanten Aufstieg einer politischen Idee beobachten können: der des bedingungslosen Grundeinkommens. Zwei von drei Menschen in Deutschland befürworteten es 2016, ebenso machen sich einzelne Konzernchefs, Philosophen und Parteivorsitzende für die Idee stark.

Warum hat das Grundeinkommen so viele Fans? Ich glaube, weil es eben nicht einfach eine weitere sozialpolitische Maßnahme ist, sondern Ausdruck eines fundamental neuen Paradigmas. In unserer arbeitsteiligen Gesellschaft brauchen Menschen Geld zum Überleben. Und die Grundeinkommensgesellschaft gibt es ihnen einfach, ohne Rückfragen, bedingungslos. Einfach so, weil sie Menschen sind. Das Grundeinkommen sagt ihnen jeden Monat: Du bist okay, du darfst sein, wir glauben an dich, wir vertrauen dir. Das ist etwas ganz Neues und verändert uns – von innen.

Mein eigenes Grundeinkommen

Ich habe das am eigenen Leib erfahren. Vor elf Jahren habe ich eine Internetfirma mitgegründet, Ende 2013 bin ich dort ausgestiegen. Die Firma zahlt mir seither jeden Monat eine “bedingungslose Gewinnausschüttung” von 1.000 Euro aus. Vor meinem Ausstieg hatte ich 3.000 Euro netto. Dann hatte ich plötzlich eine Art Grundeinkommen und viel Zeit. Nach zwei Tagen waren meine Bauchschmerzen weg, unter denen ich seit Jahren litt und von denen ich mittlerweile dachte, sie würden einfach zum Leben dazugehören.

Ich brauchte einige Monate, um zu realisieren, dass mich wirklich niemand aus der Arbeit anrufen würde und ich trotzdem jeden Monat Geld bekomme. Erst dann fand ich tatsächlich zur Ruhe – und veränderte mich: Ich habe öfter gelacht, wurde mutiger und empathischer. Die Beziehung zu meinem Kind verbesserte sich. Ich hatte zwar nur noch ein Drittel des Geldes zur Verfügung, aber es mangelte an nichts. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, mich durch Konsum für die anstrengende Arbeit entschädigen zu müssen. Stattdessen wuchs in mir eine Neugier auf die Welt: auf Seminare, Bücher, Reisen. Nach einem halben Jahr mit Grundeinkommen schwirrte mein Kopf vor lauter Geschäftsideen und der Lust, etwas zu gründen.

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Mein Grundeinkommen hat mich innerhalb weniger Monate zu einem neuen Menschen gemacht. Diese Erfahrung wollte ich teilen und startete die Initiative “Mein Grundeinkommen”. Ich fragte nach Spenden mit dem Versprechen: Falls ich es schaffen würde, 12.000 Euro zu sammeln, würde ich diese als 1.000 Euro monatliches Grundeinkommen an eine zufällig ausgewählte Person verschenken. Innerhalb weniger Wochen hatte ich das Geld zusammen. Heute, drei Jahre später, ist aus dieser verrückten Idee ein Verein mit 23 Mitarbeitern und 2,5 Millionen Euro jährlichem Spendenvolumen geworden.

Wir haben bisher an 124 Menschen ein Jahresgrundeinkommen vergeben. Jeden Monat kommen sieben neue dazu. Vor Kurzem haben wir alle bisherigen Gewinner nach Hamburg eingeladen, um mit ihnen darüber zu sprechen, was sich für sie durch das Grundeinkommen verändert hat. Dabei haben wir bestimmte Muster entdeckt: Wer es bekommt, durchläuft nach seinem Gewinn meist die gleichen drei Phasen. Egal, ob jemand verbeamtet oder obdachlos, Student oder Rentnerin ist.

Bedingungsloses Grundeinkommen – 1.000 Euro im Monat, einfach soEin Berliner Start-up verlost Grundeinkommen auf Zeit. Schon 85 Menschen haben gewonnen, das Konzept bleibt umstritten. © Foto: Mein Grundeinkommen e.V.

Die erste Phase: Abhängigkeit spüren

“Von wegen Freiheit!” sagen viele Gewinner am Anfang ihres Jahres. “Nun bin ich ja den Spendern verpflichtet, also auch wieder abhängig von anderen.” “Ja”, rufe ich ihnen zu. Wir sind alle abhängig. Heute schon und mit Grundeinkommen genauso. Jeder Mensch braucht die Gesellschaft. Ohne die anderen könnten wir kaum ein paar Tage überleben. Und dennoch reden wir uns allzu gern ein, dass wir uns unsere Freiheit selbst erarbeiten könnten. Dieser Freiheitsbegriff ist es, der den Kapitalismus so stark macht: die Vorstellung, wir könnten uns von den anderen erst freiarbeiten und dann freikaufen. Das Grundeinkommen macht sichtbar, dass das nicht stimmt.

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3 Comments

  1. 1000 Euro mögen reichen in Deutschland, aber nicht in der Schweiz wo ich wohne. Dort müsste es mindestens das Doppelte sein, da ist schon der Sozialhilfesatz bei 986 Franken inklusive bezahlter Krankenkasse und Wohnung.

  2. Ich gratuliere Herrn Bohmeyer zu seiner wunderbaren Idee Spenden zu sammeln und damit wiederum anderen zu einem Grundeinkommen zu verhelfen.
    Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass ein Grundeinkommen eine Notwendigkeit für die bereits sehr nahe Zukunft ist, denn glauben die Regierenden wirklich, sie können etwa 50% der Werktätigen (wegen Automatisierung, Digitalisierung) aus dem Arbeitsprozess entfernen und nach dem Verbrauch des bis dahin Geschaffenen dahin-vegetieren lassen? Besonders Jugendliche ohne Jobaussichten hätten keinerlei Chance je in ihrem Leben eine Familie zu gründen. € 1000.- können unter bestimmten Umständen eine große Hilfe sein, aber z. B. für einen Alleinstehenden mit Zahlungsverpflichtungen (Miete, Heizung, Strom, Auto weil auf dem Land lebend) und ohne Job, sind € 1000.- sehr wenig, wenn damit wahrscheinlich auch die Arbeitslose entfällt.
    Die Welt ist aus den Fugen! Und daher wäre es gut, wenn unsere Politiker endlich zur Besinnung kommen könnten, um die Spielregeln zu ändern. Sie sitzen nur da oben, die feigen Gestalten und glauben, sich alles erlauben zu können!

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